Seit einigen Wochen ist in der Türkei eine verschärfte, von staatlicher Seite praktizierte, brutale Unterdrückung bürgerlicher Freiheitsrechte – insbesondere auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit – zu beobachten. Sie überschreitet alle rechtsstaatlichen Grenzen und verletzt auf grobe Weise türkisches Recht wie auch internationale Verträge, welche von der Türkei ratifiziert wurden.
Hunderte Demonstrant_innen, Unbeteiligte, Journalist_innen und Anwält_innen wurden festgenommen. Noch viel mehr wurden verletzt, zum Teil schwer. Bis zum heutigen Tag werden die Menschen in der Türkei, insbesondere in Istanbul und Ankara, mit brutaler Polizeigewalt und sogar unter Androhung eines Militäreinsatzes an der Durchführung friedlicher Proteste gehindert.
In zunehmendem Maße richtet sich die staatliche Willkür in der Türkei nicht nur gegen die politische Opposition sondern auch gegen Rechtsanwält_innen. Dabei werden insbesondere jene Anwält_innen kriminalisiert, die in politischen Strafverfahren verteidigen.
Opfer dieser staatlichen Willkür sind sowohl einzelne als auch ganze Gruppen von Rechtsanwält_innen. Sie werden aufgrund eines pauschalen Terrorismusvorwurfs angeklagt und teilweise auch inhaftiert.
Allein in Istanbul sind dies
- 46 Anwält_innen im sogenannten KCK (Union der Gemeinschaft Kurdistans)-Verfahren, den überwiegend kurdischen Strafverteidiger_innen von Abdullah Öcalan;
- 16 Anwält_innen im Verfahren gegen Strafverteidiger von angeblichen Mitgliedern der linken und als terroristisch eingestuften politischen Organisation DHKP-C, darunter auch der Vorsitzende der größten progressiven türkischen Anwaltsorganisation ÇHD;
- der Präsident der Istanbuler Anwaltskammer zusammen mit 9 weiteren Vorstandsmitgliedern, welche im sogenannten “Schmiedehammerverfahren” die Einhaltung der Grundsätze eines fairen Gerichtsverfahrens sowie die Beachtung der UN Grundprinzipien, die Rolle der Rechtsanwält_innen betreffend, gefordert hatten.
Gegen diese extreme staatliche Willkür und Verletzung elementarer Freiheits- und Menschenrechte haben tausende von Rechtsanwält_innen in verschiedenen Gerichtsgebäuden friedlich protestiert. Daraufhin wurden ca. 50 Anwält_innen in einem Istanbuler Gerichtsgebäude gewaltsam festgenommen. Zahlreiche Anwält_innen wurden dabei verletzt. Anschließend wurden sie zur Feststellung ihrer Personalien fast 8 Stunden in Bussen, die Hände auf dem Rücken gefesselt, vor dem Gebäude der Antiterrorpolizei in Gewahrsam gehalten. Sie müssen ebenfalls mit Strafverfahren rechnen.
Wir verurteilen die extreme staatliche Willkür in der Türkei aufs Schärfste und fordern deren sofortige Beendigung.
Darüber hinaus fordern wir von der türkischen Regierung:
- Die Beachtung der durch die türkische Verfassung, die türkischen Gesetze und in den von der Türkei ratifizierten Internationalen Verträge garantierten Grundfreiheiten und Menschenrechte;
- Das Ende der willkürlichen Einschränkung und Verletzung dieser Rechte unter dem Deckmantel angeblicher Antiterrorpolitik;
- Die Beachtung der UN Grundprinzipien, die Rolle von Rechtsanwält_innen betreffend, die es insbesondere gebieten, dass:
- Rechtsanwält_innen in Ausübung Ihrer beruflichen Aufgaben weder mit ihren Mandant_innen noch den Angelegenheiten ihrer Mandant_innen identifiziert werden und
- Rechtsanwält_innen ihre beruflichen Aufgaben ohne Einschüchterung, Behinderung oder Schikanen ausüben können;
- Die Beendigung der gegen zahlreiche Anwält_innen, ohne nachvollziehbaren Rechtsgrund angeordneten Untersuchungshaft, die sich zum Teil schon über 19 Monate hinzieht;
- Die Einstellung eindeutig politisch motivierter Strafverfahren gegen Anwält_innen, wie das KCK-Verfahren und das DHKP-C-Verfahren, sowie die Freilassung der im Rahmen solcher Verfahren Verurteilten;
- Die Rehabilitierung der Opfer dieser staatlichen Willkür sowie die Bestrafung der hierfür Verantwortlichen.
Wir verlangen von der deutschen Bundesregierung ungeachtet wirtschaftlicher, politischer und militärischer Interessen, alle möglichen politischen und wirtschaftlichen Schritte zu unternehmen, um die türkische Regierung zur Einhaltung dieser Forderungen zu veranlassen.
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV), Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4 | 10401 Berlin | www.rav.de
Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V., Münchener Str. 16 | 10779 Berlin | www.strafverteidiger-berlin.de
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ), St- Anton-Str. 116 | 47798 Krefeld | www.vdj.de