Braucht es eine europäische Staatsanwaltschaft ?

Welcher Politiker wird schon öffentlich erklären, er sei gegen Korruptionsbekämpfung. Das Projekt einer Europäischen Staatsanwaltschaft hat daher gute Chancen im EU Parlament und im Rat angenommen zu werden. Die neue Behörde soll die Aufgabe haben, Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union zu bekämpfen. Die EU-Kommission hat dazu schon sehr früh ein Grünbuch vorgelegt. Über 10 Jahre hat es in den Schubladen geschlummert.

Seit Bestehen der Europäischen Union sind ihre Geldtöpfe beliebtes Objekt der Begierde, des Betruges, der Veruntreuung und der Unterschlagung. Die EU beziffert die festgestellten betrügerischen Unregelmäßigkeiten in 2011auf ca. 400 Mio EURO. Das sind etwa 0,27 % des EU Haushalts.

Die EU hat sich lange Zeit damit begnügt in Korruptionsfällen nur zu ermitteln. Hierfür wurde bereits 1999 OLAF geschaffen, bzw. schon 11 Jahre früher UCLAF. Mit ihren mehr als 400 BeamtInnen arbeitet sie als unabhängiger Ermittlungsdienst innerhalb der EU-Kommission. Die Ermittlungsfelder sind insbesondere Betrug im Zollbereich, missbräuchliche Verwendung von EU-Subventionen, EU-relevante Steuerhinterziehungen, Korruption innerhalb der EU-Institutionen. 2003 sah sich das EU-Parlament allerdings veranlasst der Frage nachzugehen, ob OLAF selber in die Betrugsaffäre EUROSTAT verwickelt war. Ihre derzeitigen Kompetenzen erlauben OLAF nicht, Fälle in den Mitgliedsstaaten zur Anklage zu bringen. Hierfür ist die Justiz der Mitgliedsstaaten zuständig.

Das soll sich ändern. OLAF soll einen Bruder bekommen, die Europäische Staatsanwaltschaft. Die EU-Kommission hat den Auftrag, hierfür im Juni 2013 einen Verordnungsentwurf vorzulegen. Der Vertrag von Lissabon (Art. 86 AEUV) liefert dafür die rechtliche Grundlage. Allerderdings besteht keine Verpflichtung für die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Die EU-Staaten waren sich wohl nicht sicher, ob eine solche Behörde überhaupt notwendig ist. Einige spektakuläre Fälle der jüngsten Vergangenheit haben den politischen Druck dazu jedoch erhöht. Dazu gehören die Verurteilung des ehemaligen österreichischen Innenministers und EU-Abgeordneten Ernst Strasser zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Korruption, genauso wie der kürzlich erfolgte Rücktritt des EU-Kommissars für Gesundheit- und Verbraucherschutz John Dalli, dem ebenfalls Korruption vorgeworfen wurde.

Die EU-Kommission hat beim Inhalt der Verordnung über einen EU-Staatsanwalt einen großen Spielraum. Art. 86 VAEU lässt wesentliche Fragen offen. Die Abgeordneten des Europaparlaments, die der Verordnung zunächst zustimmen müssen, haben daher eine schwierige Aufgabe vor sich. Sie sollten sich nicht allein von dem Ziel leiten lassen, Korruption zu bekämpfen. Sie werden auch darauf achten müssen, ob die Verordnung in ausreichendem Umfang die Rechte der Beschuldigten und ihrer Verteidiger gewährleistet. Heute ist in Vergessenheit geraten, dass der Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht zu OLAF 2005 schwere rechtsstaatliche Mängel in der Arbeit von OLAF feststellet: keine unabhängige Kontrolle der Rechtmäßigkeit von laufenden OLAF-Untersuchungen und bei der Einhaltung der Grundrechte der einer Untersuchung unterworfenen Personen, fehlende Rechte der von der Untersuchung betroffenen Person auf rechtliches Gehör sowie das Zugangsrecht zu den Akten. In seinem Folgebericht in 2011 hat der EU-Rechnungshof gerügt, dass diese Mängel noch immer nicht beseitigt waren. Das EU-Parlament sollte daher schon bei der Einrichtung der EU-Staatsanwaltschaft darauf achten, dass sich solche Mängel nicht wiederholen. Denn die Eingriffsbefugnisse des Europäischen Staatsanwalts sind wesentlich weitreichender als die von OLAF.

 

Zurecht haben sich die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutschen Anwaltsverein in einem gemeinsamen Standpunkt gegen die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ausgesprochen, solange nicht zumindest die wichtigsten Verfahrensrechte eines Beschuldigten im Strafverfahren unionsrechtlich bindend sind und europaweit angewendet werden. Sie bezweifeln auch, dass diese Behörde überhaupt erforderlich ist. Es wird insbesondere befürchtet, dass bei der Einsetzung des Europäischen Staatsanwalts Beschuldigtenrechte und Verteidigerrechte, sowie die Unabhängigkeit der Behörde nicht ausreichend gewährleistet werden.

Aus den negativen Erfahrungen mit dem Europäischen Haftbefehl und den damit einhergehenden Rechtsverlusten von Betroffenen müssen die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Das gilt umso mehr als Art. 86 AEUV im zweiten Schritt auch die Ausdehnung der Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft auf andere grenzüberschreitende Delikte vorsieht.

Den für die Behörde tätigen Staatsanwälten muss Unabhängigkeit von der Kommission und Unabhängigkeit von den Regierungen ihrer Herkunftsländer eingeräumt werden. Der Behördenaufwand muss in angemessener Relation zum zu erwartenden Erfolg stehen. Es darf keine Superbehörde entstehen, die mehr kostet als sie einbringt.

Thomas Schmidt

s. Artikel in Neues Deutschland vom 17.05.2013